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Frankfurter Rundschau, 23.06.2006 |
Der Feuerwehrmann, der zu sehr liebte
Und was ist, bitteschön, die Filmkunst? Ein Ludwigshafener Festival feiert junges Kino unter einem altmodischen Begriff |
Von Daniel Kothenschulte |
"Hier ist die Maastrichter Straße. Jetzt pinkle ich an der Maastrichter Straße." Nicht jede der autobiografischen Tonbandaufzeichnungen Rolf Dieter Brinkmanns lässt sich so leicht verfilmen wie diese. Das akustische Vermächtnis des Kölner Dichters ist ein einzigartiges Dokument unmittelbarer sprachlicher Welterschließung. "Und ich denke, während ich hier vorbeigehe: Sie bemessen die Gegenwart so eng, dass man sich dauernd immerzu verletzt."
Dem Hörfilm, der mit den Reflexionen auch den privaten Lebensraum Brinkmanns rekonstruierbar macht, hat der Berliner Filmemacher Harald Bergmann einen erstaunlichen Bildstreifen hinzugefügt. Das "Festival des Deutschen Films" in Ludwigshafen zeigte nun den 2005 in Köln gedrehten Film Brinkmanns Zorn, und man greift nicht zu hoch, das Ergebnis einen Meilenstein verfilmter Literatur zu nennen.
Bereits die von Brinkmann 1973 und 1975 aufgenommenen Tonbänder sind für sich genommen ein frühes Werk der Medienkunst. So wie der am Literaturbetrieb verzweifelnde Dichter die akustische Selbstreportage als befreiende Ausdrucksform entdeckt, nutzt nun auch Bergmann alle Chancen des hochauflösenden Videos, die Begleitumstände des Schaffensprozesses sichtbar zu machen. Zunächst staunt man über die authentische Anmutung der Bilder. Lippensynchron agiert der Schauspieler Eckhard Rohde zu Brinkmanns Stimme, der er seinen Körper leiht. Doch erst die bewegte, mitunter delirierende Kameraarbeit Elfi Mikeschs setzt dem inneren Monolog eine sichtbare Gegenwelt entgegen: Wenn Brinkmann zu den ersten Bildern gegen den gelbschmutzigen Kölner Himmel anschreit, dann braut der sich unter den Flüchen gleich giftig zusammen: Nie hat diese Stadt einen besseren, wenn auch nicht immer schmeichelhaften filmischen Ausdruck gefunden.
Berlin reicht längst nicht mehr
Das deutsche Kino, es ist längst wieder viel zu reich, um sich mit den Gewinnern der Bundesfilmpreise angemessen repräsentiert zu fühlen. Michael Kötz, Direktor des Ludwigshafener wie auch des Mannheimer Festivals, macht keinen Hehl daraus, dass es ihm vor allem darum geht, einen zur Berliner Gala alternativen, mit 50 000 Euro hoch dotierten "Filmkunstpreis" zu verleihen. "Dafür könnte ich auch nur fünf statt der zehn ausgewählten Filme zeigen." Es wäre schade um das kleine lokale Festival, das sich auch im zweiten Jahr den improvisierten Charme eines Zeltdorfes am Rheinufer erhalten hat. Wie schwer es ist, sich allein aus der Opposition zu etwas Bestehendem zu definieren, zeigt die Juryentscheidung für den Hauptpreis: Valeska Griesebachs spielerisches Drama Sehnsucht gewann, ein gestandener Berlinale-Beitrag, der gewiss auch noch beim Bundesfilmpreis 2007 eine Rolle spielen wird. Aber auch angesehene, hochgelobte Werke können Zuspruch gut gebrauchen. Das mit zarter Poesie gebrochene Sozialdrama um einen Feuerwehrmann, der zu sehr liebt, hatte auf der Berlinale das Nachsehen hinter jener Sorte Kunst, die gerne etwas unbescheidener auftritt. Man gönnt Regisseurin Griesebach ihren Preis von Herzen - und wünscht ihr auch den Bundesfilmpreis noch dazu.
Weniger als von ihren Preisen leben Festivals von den Besuchern. Das Publikum, das unberechenbare, schmähte die Schauspielerin Anna Thalbach bei der Preiszeremonie, die ihre Rezitation eines filmpolitischen Bunuel-Textes nicht zu Ende führen durfte. Und es ehrte andererseits einen der künstlerisch gewagtesten Wettbewerbsfilme mit dem Publikumspreis: Der Episodenfilm Neun Szenen des 1976 geborenen Nachwuchs-Regietalents Dietrich Brüggemann verweigert sich demonstrativ den Erwartungen an filmischen Realismus. Keine wackelnden Handkameraeindrücke, sondern statische, symmetrisch komponierte Aufnahmen sind der Spielraum seiner Lebensbilder. Was sich jedoch in den langen Einstellungen abspielt, lässt die Nähe zum Theater schnell vergessen: Brüggemanns humorvoll geschriebene Beobachtungen generationsbedingter Missverständnisse sind trotz der minimalistischen Form herzliche Umarmungen des Genrekinos. Was durchaus in Einklang stehen kann zum ein wenig altertümlich gewählten "Filmkunst"-Begriff der Ludwigshafener.
Dieses Wort, in Deutschland vor allem in der Nazi-Zeit gebräuchlich und nun mit Pathos wiederbelebt, ist das große Rätsel des kleinen Festivals. Vom Kunstkino, Autorenfilm oder schlicht vom "künstlerischem Film" mag niemand sprechen.
Aber was sind schon Vokabeln? In Brinkmanns Zorn traut ihnen der Dichter nicht über den Weg: "Es sind immer nur Wörter, Formulierungen. Aber was ist denn da, tatsächlich? Das kann Sprache, Formulierung nicht sagen."
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